Herrenmode: In Würde schwitzen
25. August 2018, Telepolis
Deutschlands Mode-Experten wollen einen Trend ausgemacht haben: Die Herrenmode werden immer lässiger und körperbetonter. Doch woher kommt diese Lässigkeit und was betonen Männer mit schlabbrigen Jogginghosen und Shorts, die nicht kurz sind, wirklich?
Jedes Jahr im Sommer, wenn der Bundestag und die Bundesliga Pause machen, tut sich in den Medien ein gähnendes Loch auf. Zum Gähnen ist meist auch der Füllstoff, mit denen sie es zu stopfen versuchen. Immer wieder gerne genommen werden Artikel, in denen Mode-Expertinnen und -Experten die Leserschaft darüber aufklären, was Mann und Frau an heißen Tagen anziehen darf, im Büro und in der Freizeit.
Man muss sich dieses meist völlig unreflektierte Geschwafel nicht antun, doch zwischen den Zeilen kann man viel daraus lernen: über Standesdünkel, antiquiertes Rollendenken und Spießertum. Der Standesdünkel zeigt sich selten in direkter Form, eher durch Weglassen: Büromenschen schreiben über Leute, die im Büro arbeiten. Wer etwas auf sich hält, trägt Anzug und dämpft den Schweißgeruch mit Achselpads. Der Portier darf ruhig kurze Hemden tragen. Wie es um die Geschlechterrollen in unserer ach so individualisierten Gesellschaft bestellt ist, scheint gerade dort am deutlichsten auf, wo ein angeblicher Trend belegen soll, wie fluide sie doch inzwischen seien.
„Ist 2018 das Jahr, in dem die kurze Hose beim Mann ihren Durchbruch erlebt?“,
fragt das Faktenmagazin Focus und ergänzt: „In deutschen Städten könnte man auf der Straße und in Parks diesen Eindruck gewinnen.“ Ja, tatsächlich. Vielleicht liegt es aber auch einfach daran, dass der Sommer in diesem Jahr so lang und so heiß ist. In dem zugehörigen Artikel der Deutschen Presse-Agentur (dpa), der unter anderem auch von der Süddeutschen verwurstet wurde, geht es eher um die altbekannte Frage, wann, wo und unter welchen Umständen Männer kurze Hosen tragen dürfen. Zum Einstieg werden zwei der beliebtesten Kontra-Argumente aufgewärmt: Im Gegensatz zu Frauen, die im Sommer viel Haut zeigten, sorgten sich Männer, nicht ernstgenommen zu werden, „wenn sie wie kleine Jungs eine kurze Hose anziehen.“ Und „Stilexperten“ zuckten zusammen, „wenn sie an behaarte Unterschenkel in der Öffentlichkeit denken“.
Sebastian Schwarz, Redakteur für Männermode beim Fachmagazin „Textilwirtschaft“, meint denn auch, am Arbeitsplatz hätten Shorts „nichts zu suchen“, in der Freizeit dürfe Mann sie aber tragen. Dass gerade junge Männer vermehrt kurze Hosen tragen, führt er auf ein gestiegenes Körperbewusstsein und den „grassierenden Fitnesstrend“ zurück. Im Sommer zeigten Männer gerne ihre Muskeln. Besonders sportliche Männer könnten es sich sogar leisten, „eine wirklich kurze Hose zutragen“, erklärt Schwarz. „Höher als eine Hand breit oberhalb der Kniescheibe sollte sie aber nicht enden.“ Die als „Stilbloggerin“ vorgestellte Danijela Pilic dekretiert: „Shorts aus Jersey oder anderen Materialien, die an Badehosen erinnern, sind ein No-Go, außer, man befindet sich am Strand.“
Dumm nur, dass wirklich kurze Hosen, die nicht an Badehosen erinnern, im Handel kaum erhältlich sind. Wer es daher, wie der Modefotograf Juergen Teller, für unsinnig hält, Shorts zu tragen, „wenn sie nicht wirklich kurz sind“, dem bleibt daher kaum etwas anderes übrig als Sporthosen – siehe hier. Auch wenn es Teller bislang nur wenige nachtun und „zu kurze“ Shorts von den Mode-Experten der Republik einhellig verdammt werden, alles in allem werde die Männermode „immer lässiger, sportlicher, auch köperbetonter“, meint die dpa und sieht darin einen „Langzeittrend“.
Alles andere wäre ja auch erklärungsbedürftig, angesichts der medial vermittelten Erzählung vom immerwährenden Fortschritt der Emanzipation. Da viele offenbar glauben, in der liberalsten Gesellschaft aller Zeiten zu leben, stellen jungen Leute manchmal dumme Fragen. Zum Beispiel, ob es stimme, „dass Männer früher (bis in die 80er Jahre) keine kurzen Hosen getragen haben?“ Doch zum Glück gibt es das Portal „gutefrage.net“. Dort erfährt der Fragesteller nicht nur, dass in den 70er-und 80er-Jahren kurze Männerhosen oft und gerne getragen wurden, sondern auch, dass sie deutlichkürzer waren als heute – samt Beweisfoto. Dieselbe Erkenntnis wurde auch einer Modebloggerin zuteil, die ihre Follower fragte, was es „mit den verstörend knappen Shorts“, die Magnum in der gleichnamigen Serie ständig trug, wohl auf sich habe und ob das „wirklich mal Mode für Männer“ gewesen sei.
Was Stilexperten von heute wohl dazu sagen würden? Nun, die Fachleute vom Stern wünschen sich, dass die Männermode der Siebziger „bitte niemals wiederkommen“ soll. Gingen Männer doch damals, wie hier zu sehen, tatsächlich noch „mit kurzer – viel zu kurzer – Jeans-Shorts“ joggen, statt wie heute „in hochwertigen Synthetikmaterialien“ Sport zu treiben.
Rasierte Männerbeine?
Ja, wir müssen wohl in der besten aller Zeiten leben. Dass auch so manche Modeerscheinung der10er-Jahre, etwa die bei beiden Geschlechtern derzeit schwer angesagten Jogginghosen [8] oder möglichst knappe und enge Hotpants für Mädchen im Grundschulalter, irgendwann einmal als peinlich gelten könnten, ist natürlich undenkbar. Denn solche Gedanken könnten Modejünger verunsichern.
Wie praktisch, dass Modeapostel das Privileg genießen, ihre Verlautbarungen nicht näher begründen zu müssen. Wie kommt es etwa, dass „die kürzeste Rocklänge im Business nach wie vor eine Handbreit über dem Knie“ liegt, also exakt auf der Höhe, auf der auch die kürzeste erlaubte Hosenlänge für besonders sportliche Männer in der Freizeit liegt? Und wieso müssen kurze Hosen für Normalos knapp unterhalb der Knie enden? Sind Haare an den Oberschenkeln etwa ein noch schlimmerer Anblick als an den Waden?
Und ließe sich das Grundsatzproblem nicht ganz einfach lösen, indem männliche Kurzhosenträgerihre Beine rasieren? Hier sind sich Deutschlands Stilexperten uneins: Einige plädieren dafür; die meisten sind strikt dagegen; manche schlagen vor, das Beinhaar nur ein wenig zu trimmen. Entsprechend herrscht unter Frauen wie Männern große Verunsicherung, was rasierte Männerbeine betrifft. In Leserkommentaren und Einträgen in Online-Foren liest man dazu Adjektive wie „unnötig“, „anstößig“, „unmännlich“, „androgyn“ oder auch „schwul“.
Von „Würde“ ist im Zusammenhang mit Frauenmode so gut wie nie die Rede
Hiermit nähern wir uns allmählich dem Kern des Problems: Männlichkeit wird stets in Abgrenzung zu Weiblichkeit konstruiert. Um Frau zu sein, genügt es, die körperlichen Merkmale einer Frau mitzubringen. Weshalb auch niemand auf die Idee käme, Frauen könnten nicht ernstgenommen werden, wenn sie „wie kleine Mädchen einen Rock anziehen“. Zum Mann zu „werden“, ist dagegen ein komplexer Prozess. Wenn Männer daher aufgefordert werden zu zeigen, was sie „haben“, dann ist eben dies gemeint: Haben, nicht Sein. So dürfen Männer etwa ihre Muskeln zeigen oder dass sie genug Geld haben, um sich Markenklamotten mit fett aufgedrucktem „Label“ zu kaufen, womit man laut Stern [11] gerade voll im Trend liegt.
Dass jemand, der sich gratis als lebende Litfaßsäule für Modefirmen zur Verfügung stellt, nicht alle Tassen im Schrank haben kann, kommt den Stilexperten vom Stern natürlich nicht in den Sinn. Liegt es doch voll im Trend, sich selbst als Marke zu stilisieren. Und wenn man keine ist, dann leiht man sich eben eine aus.
Geht es dagegen um angemessene Kleidung fürs Büro, ist auffällig oft von der „Würde“ die Rede, dieMänner angeblich verlieren, wenn sie Shorts, einen Anzug, der nicht schwarz oder anthrazitfarben ist,oder aber ein kurzärmeliges Hemd tragen. Männer, die die „die Ärmel hochkrempeln“, sind dagegenimmer gern gesehen. Frauen werden zwar hin und wieder ermahnt, „nicht zu sexy“ im Büroaufzurauschen. Von „Würde“ ist im Zusammenhang mit Frauenmode jedoch so gut wie nie die Rede.Da drängt sich die ketzerische Frage auf: Besitzen Frauen per se keine Würde oder kommt es beiihnen nicht so sehr darauf an?
Um zu verstehen, was wirklich dahintersteckt, muss man den Blick schon ein wenig weiter in die Vergangenheit richten, als es Mode-Experten gewohnt sind. Der wahre Langzeittrend, der bis heute nachwirkt, setzte mit der Französischen Revolution ein und nahm mit der Industrialisierung und der Militarisierung ab Mitte des 19. Jahrhunderts Fahrt auf. Es begann mit dem Versuch desaufstrebenden Bürgertums, sich von dem Protz des Adels durch schlichte Kleidung abzugrenzen. Am Ende dieser Entwicklung trugen Männer mit dem Anzug eine zivile Uniform, die nach Ansicht der Schweizer Historikerin Sabina Brändli wie ein „genormter Maschinenkörper“ wirkte.
Für Männer lohnt es sich kaum, in ihr Aussehen zu investieren, für Frauen umso mehr
Bis Anfang des 19. Jahrhunderts trugen Männer meist helle, enganliegende Hosen oder Kniehosen, kombiniert mit verzierten Strümpfen, die ihre Waden betonten. Noch in der Biedermeierzeit betonte die Kleidung bei Frauen wie Männern die Taille. Dann kam der Sakko – abgeleitet von „Sack“, „sackförmig“ – auf. Und seitdem sich Pantalons, die Waden bedeckende Hosen, durchgesetzt hatten, „gab sich ein erwachsener Mann mit entblößten Beinen der Lächerlichkeit preis. Männerbeine verschwanden definitiv aus dem erotischen Diskurs“, so Brändli.
Die Männermode diente nun nicht mehr dazu, den Körper zu betonen, sondern ihn zu verstecken und zugleich ihrem Träger ein Höchstmaß an Bewegungsfreiheit zu sichern. Denn die alte Wirtschafts- und Lebensform des „Ganzen Hauses“, in dem die ganze Familie mitarbeitete, löste sich allmählich auf. Männer arbeiteten zunehmend außer Haus, in Büros oder Fabriken, während Frauen zu Hausfrauenmutierten. So wurde die Frauenmode mit der Zeit immer bunter und aufwändiger, die Männermodedagegen immer einförmiger.
Bürgerliche Männer sollten nur noch durch bürgerliche Tugenden wie Fleiß, Ordentlichkeit, Pünktlichkeit und Sparsamkeit glänzen. Ästhetik und Erotik wurden an die Frauen delegiert. „Die neuen Beine der Frauen“ waren und sind „die alten Beine der Männer“, meint die Modetheoretikerin Barbara Vinken. Und Brändli konstatiert, auch heute noch seien die Begriffe „Mode, Kleidung, Schönheit doppelt und dreifach mit Weiblichkeit konnotiert.“
Im 19. Jahrhundert bildete sich auch die Vorstellung von naturgegebenen Geschlechtscharakteren heraus. Als männliche Eigenschaften galten Aktivität und Aggressivität, Kraft, Mut, Tapferkeit, Kreativität und Leidenschaftlichkeit. Als weibliche Eigenschaften seien Passivität und Friedfertigkeit, Fürsorglichkeit, Sanftheit und Schönheit aufgefasst worden, so die Historikerin Ute Frevert.
Auch daran scheint sich bis heute wenig geändert zu haben, wie eine neue
Studie [12] nahelegt. Drei Forscherinnen untersuchten anhand eines von Männern dominierten Technologieunternehmens, welche Eigenschaften am ehesten die Karriere befördern. Das Ergebnis fasst die an der Studie beteiligte Professorin für Organisationsverhalten, Laura Guillén, wie folgt zusammen: „Obwohl Männer, die als selbstbewusst angesehen wurden, eher vorankamen, zeigten unsere Untersuchungen, dass dies bei Frauen nicht der Fall war. Sie wurden stattdessen nach ihrer Warmherzigkeit beurteilt oder wie fürsorglich und sozial sie schienen.“
Damit wäre also geklärt, warum Frauen im Büro nach wie vor deutlich mehr Haut zeigen dürfen als Männer. Ein schickes „Business-Kostüm“ strahlt eben immer noch mehr Warmherzigkeit aus als ein schwarzer Anzug. Klar ist nun auch, warum nur im Büro, nicht aber auf dem Bau, ein strenger Kleidungskodex gilt: Bürgerliche Normen gelten nur für die Angehörigen des sogenannten Bürgertums, die „Bürger“ im engeren Sinne.
Offen bleibt jedoch die Frage, warum seit den 80er-Jahren die kurzen Hosen der Männer wieder länger geworden sind und selbst Badeshorts heute oft bis fast zum Knie reichen. Warum tragen Fußballer inzwischen zeltartige Hosen, die nur wenige Zentimeter oberhalb der Strümpfe enden, während Leichtathletinnen seit einigen Jahren bauchfrei auftreten und Volleyballerinnen sich in hautenge Trikots quetschen?
Was die weiblichen Sportler betrifft, erscheint die Antwort einfach: Sex sells. Warum die Männerbekleidung wieder länger und weiter geworden ist, ist schwieriger zu beantworten. Vielleicht hat die seit den 90er-Jahren wieder zunehmende Geschlechterpolarisierung in der Mode ja etwas mit dem in eben dieser Zeit aufkommenden Neoliberalismus und seinen Folgen zu tun, etwa mit unsicheren Arbeitsplätzen und der Forderung, sich selbst zu vermarkten.
Zwar waren noch nie so viele Frauen erwerbstätig wie heute, doch
fast jede zweite in Teilzeit. Der weibliche Beitrag zum Familieneinkommen ist nach wie vor sehr gering. Deutschland liegt hier mit einem Anteil von 22,4 % auf dem letzten Platz in Europa [14]. In der Theorie mag das tradierte Familienmodell mit dem Mann als „Ernährer“ ausgedient haben, in der Praxis lebt es fort. Entsprechend wünschen sich, Umfragen zufolge, viele Frauen immer noch einen Partner mit hohem Einkommen – gerne als „Status“ verklausuliert.
Mit äußerlicher Attraktivität ist für Männer jedenfalls kaum ein Blumentopf zu gewinnen. Bei der Online-Dating-Plattform OkCupid bewerten [15]Frauen rund 80 % der Männer als unterdurchschnittlich aussehend. Umgekehrt bewerten Männer die bei Okcupid vertretenen Frauen sehr gleichmäßig. Sie fanden nur sehr wenige extrem unattraktiv, ebenso wenige extrem attraktiv und die allermeisten durchschnittlich attraktiv. Die Attraktivitätskurve ähnelt einer Normalverteilung. Beider Dating-App Tinder sieht es sehr ähnlich [16] aus.
Fazit: Für Männer lohnt es sich kaum, in ihr Aussehen zu investieren, für Frauen umso mehr, gerade weil das Klischee, dass Männer besonders strenge Maßstäbe an die Attraktivität von Frauen anlegten, nicht stimmt. Und da wir bekanntlich im Zeitalter des Homo oeconomicus leben, erscheint es nur logisch, wenn Frauen viel Zeit und Geld investieren, um ihren Körper mit ihrer Kleidung in Szene zusetzen, während Männer ihn ganz „lässig“ verstecken und damit signalisieren, dass ihnen andere Dinge wichtiger sind – beruflicher Erfolg und ein hohes Einkommen zum Beispiel.