Juli 2004, StadtRevue
Höhenflug der Billiglöhne
Hans D. Rieveler hat sich auf dem Flughafen Köln/Bonn umgeschaut – und außer „Low-Cost-Carriern“ auch billiges Essen, niedrigere Löhne und etwas teurere PR-Aktionen gefunden
Warum eigentlich wird Bahnfahren immer teurer, und Fliegen immer billiger? Gute Frage –doch wer hält sich schon damit auf, wenn Germanwings oder Hapag-Lloyd-Express (HLX) vom Flughafen Köln/Bonn aus Flüge quer durch Europa zum „Taxipreis“ anbieten.
Auch Turgut Altınsuyu hat nicht lange nachgedacht, als sich die Möglichkeit ergab, für zwei Euro nach Paris und am selben Tag wieder zurück zu fliegen. Der am Flughafen Köln/Bonn als „Bodenpilot“ beschäftigte Urkölner – seit einer Woche hat er auch einen deutschen Pass – fertigte das Flugzeug vorher noch selbst ab. Beim nächsten Paris-Besuch zusammen mit seiner Frau habe er sich dann immerhin zwei Tage Zeit genommen, sagt der 34-Jährige. Ein Billig-Flug-Ticket nach Venedig hat er dagegen verfallen lassen, weil er nicht aus dem Bett kam.
Durch seinen Vater, der die Generalagentur von Turkish Airlines leitete, kam Altınsuyu schon als kleiner Junge regelmäßig zum Flughafen. Nach dem Abitur ist er dageblieben. Seine Begeisterung für den Flugbetrieb konnten auch die Billigflieger nicht schmälern, die seit 2002 von Köln-Wahn abheben und den „Konrad-Adenauer-Flughafen“ aus seinem Dornröschenschlaf rissen. Zwar ist die „Turnaround-Zeit“ bis zum nächsten Start bei den Billigfliegern mit 25 Minuten erheblich kürzer als bei konventionellen Linienfliegern, die 45 Minuten am Boden bleiben. Doch das sei zu schaffen, sagt Altınsuyu, denn bei den Billigfliegern würden weder kostenlose Mahlzeiten noch Zeitungen ausgegeben. Damit entfalle der Austausch des „Catering-Materials“ und auch die Komplettreinigung des Innenraums.
Etwas stressiger ist der Job von Daniela Flinner von der Passagierabfertigung geworden. „Früher war alles viel ruhiger, aber auch langweiliger“, sagt die 24-Jährige, die nach dem Abi eine Ausbildung als „Servicekauffrau im Luftverkehr“ absolviert hat. Der Job halte jeden Tag neue Überraschungen bereit: unbegleitete Kinder; Leute, die ihren Hund einfach mit ins Flugzeug nehmen wollen; Behinderte, die Hilfe benötigen – oder neuerdings Mitglieder von Kegelclubs, die morgens um sechs schon so viel getankt haben, dass sie ebenfalls Hilfe brauchen. „Manchmal muss man die Leute auch wieder wegschicken“, sagt Flinners 35-jähriger Kollege Oğuz Ipek. „Das Publikum der Billigflieger ist bunt gemischt: viele Studenten, die das erste Mal fliegen, aber auch viele Geschäftsreisende, vor allem bei innerdeutschen Zielen wie Berlin.“
Freitag vor Pfingsten: Der Chemieingenieur Bernd Trummer checkt bei Germanwings ein. Er hatte für zwei Tage geschäftlich in Koblenz zu tun und fliegt nun zurück nach Wien. Ihm sei es nicht so wichtig, einen Billigflieger zu nehmen, sagt Trummer, denn auch die regulären Linienflieger seien inzwischen deutlich günstiger geworden. Mit demselben Flugzeug reist auch ein zehnköpfiger Kegelverein aus Köln-Porz über das Pfingstwochenende nach Wien. Die Kegelbrüder und -schwestern, die zum ersten Mal mit einem Billigflieger unterwegs sind, haben bereits im November gebucht und zahlen daher nur 39 Euro pro Strecke. Ebenfalls zum ersten Mal billig fliegt Familien Jansen aus dem Kreis Heinsberg, die zusammen mit einer befreundeten Familie Tochter Andrea in London besucht. Franziska Goldschmidt, Archivarin beim Musiksender Viva, fliegt inzwischen zweimal im Monat nach London, um Freunde zu besuchen. „Wenn es keine Billigflieger gäbe, würde ich seltener fliegen“, sagt die 27-Jährige, „am Dienstagmorgen geht es zurück und dann gleich zur Arbeit.“
Der Stellenwert von Germanwings, der inzwischen stärksten Airline am Flughafen vor Lufthansa und HLX, lässt sich schon daran ablesen, dass für den neuen Abfertigungsbereich mit 22 Check-in-Schaltern der gesamte C-Stern im alten Terminal 1 reserviert worden ist. „Ein Segen für Köln“ seien die Billigflieger, meint der Inhaber einer Unternehmensberatung, der gerade für seinen Flug nach Ibiza eincheckt. Gebucht hat er erst vor vier Wochen und immerhin 347 Euro bezahlt. In seiner zweiten Heimat Ibiza baue er gerade ein Haus, berichtet der 43-Jährige, daher fliege er nun bestimmt schon zum zehnten Mal in diesem Jahr dorthin. An Germanwings schätze er am meisten, dass die Flugzeiten nur ganz selten geändert würden.
Mit den Flugzeiten nimmt man es auch bei HLX sehr genau. Das bekommt auch „Bodenpilot“ Altınsuyu zu spüren. „Hapag-Lloyd hat eine Maschine getauscht“, wird über Funk gemeldet. Die Maschine, die nach Berlin-Tegel fliegen sollte, habe eine halbe Stunde Verspätung gehabt. Jetzt wird das nächste freie Flugzeug nach Tegel geschickt, das übernächste an dessen eigentliches Ziel und so fort. „Das zieht sich jetzt den ganzen Tag hin“, sagt Altınsuyu gleichmütig. Passagiere müssen umgesetzt, die Unterlagen vom Deutschen Wetterdienst und der Flugsicherung für die Piloten neu zusammengestellt werden.
Für Flughafen-Geschäftsführer Michael Garvens läuft derweil alles nach Plan. Im Februar 2002 hat der smarte Manager aus Hamburg seinen Posten angetreten und sofort voll auf die Billigflieger gesetzt. Der Erfolg scheint ihm Recht zu geben: Die Zahl der Fluggäste stieg 2003 um 43 Prozent auf 7,84 Millionen. Davon flogen knapp 4 Millionen mit einem „Low-Cost-Carrier“. Für das laufende Jahr rechnet Garvens mit einem weiteren Anstieg auf 8,5 Millionen Passagiere.
Der Flughafen Düsseldorf hat im vergangenen Jahr 800 000 Passagiere an Köln/Bonn verloren. Bald soll es auch den hoch subventionierten Flughäfen Hahn und Niederrhein an den Kragen gehen. „Mickey Mouse Airports“ nennt Garvens sie verächtlich. Seit dem 13. Juni ist der Flughafenbahnhof in Betrieb. Wenn die Bahn im Dezember 2004 die ICE-Verbindung nach Frankfurt aufnimmt, sind Reisende von dort aus in einer Stunde am Flughafen Köln/Bonn, doppelt so schnell wie am Flughafen Hahn.
Schon seit Ende März kann man am Flughafen Köln/Bonn nicht nur billig fliegen, sondern auch billig essen. Wer sich beim neuen Burger King im Terminal 1 das schnelle Essen schmecken lässt, kann durch die vollverglaste Außenwand anderen Menschen beim Arbeiten zuschauen. Zwischen dem B- und dem C-Stern entsteht eine 5000 Quadratmeter große Glas-Stahl-Halle, die über eine transparente Brücke mit dem Hauptgebäude verbunden wird. Damit werden neue Abfertigungskapazitäten und Ladenflächen geschaffen. Bis 2005 soll die Verkaufsfläche am Flughafen auf 7400 Quadratmeter anwachsen, 60 Prozent mehr als 2002. Gleich um die Ecke vom Fast-Food-König hat Gosch Sylt vor zwei Wochen ein Fischrestaurant eröffnet. Neu ist auch das Edel-Bistro von Leysieffer. Starbucks und Kamps werden bald folgen. „Wir setzen auf starke Marken“, sagt Pressesprecherin Anja Stenzel van Melis.
Starke Marken sollen auch helfen, den Flughafen selbst bekannter zu machen. Dazu soll Verona Feldbusch als Ansagerin und für weitere PR-Aktionen engagiert werden. Was das kostet, wird wohl Betriebsgeheimnis bleiben. Kein Geheimnis ist, dass die mittlerweile knapp 1900 Mitarbeiter sich auf magere Zeiten einstellen müssen, denn angesichts des enormen Konkurrenzdrucks hat Garvens der Flughafen GmbH einen harten Sparkurs verordnet. Zehn Millionen Euro sollen jährlich eingespart werden. Die 180 Mitarbeiter der Flugzeugabfertigung, deren befristete Beschäftigungsverhältnisse Ende September auslaufen, werden in eine Tochtergesellschaft mit neuem Tarifvertrag überführt. Ziel sei, den „Personalbedarf besser steuern zu können“, sagt Garvens.
Jörg Krückeberg vom Betriebsrat hat dafür kein Verständnis. Die Arbeitnehmervertretung könne aber ohnehin nichts dagegen unternehmen. Da seien vielmehr die Anteilseigner des Flughafens – Stadt, Land und Bund, sprich die Politiker – gefragt. „Doch diese Weicheier sind von den Lohnabsenkungen um 20 bis 30 Prozent ja nicht betroffen.“ Krückeberg ist überzeugt, dass bald weitere Abteilungen folgen werden, denn: „Wie will Garvens sonst zehn Millionen Euro einsparen?“
Krückeberg schlägt vor, der Geschäftsführer solle „mit leuchtendem Beispiel vorangehen“ und sein Gehalt ebenfalls um 30 Prozent kürzen. Billiglohn für den Billigflughafenchef sozusagen.